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Wer stoppt Maggi?

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  • Wer stoppt Maggi?

    Die letzte gute Tat von Dorothy Stang - die Rettung eines als Parzelle 55 bekannten Urwaldgebiets - endete am Morgen des 12. Februar 2005. Zwei bewaffnete Männer stellten sich der zierlichen 73-jährigen Nonne in den Weg. Das dann folgende Gespräch belauschte ein Zeuge, der später im Prozess gegen die beiden Männer aussagte. Stang rügte sie - das Land gehöre ihnen nicht, sie hätten kein Recht, Weiden für Viehhaltung anzulegen. "Magst du etwa kein Fleisch?", höhnte einer der Angreifer. "Nicht, wenn dafür der Wald zerstört wird", antwortete sie. "Wenn das Problem nicht heute gelöst wird, dann nie", knurrte der Mann. Stang sah, dass er zur Waffe griff. Sie nahm ihre Bibel und las aus dem fünften Kapitel des Matthäus-Evangeliums vor: "Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden." Als sie gehen wollte, richtete Rayfrán das Neves Sales seinen Revolver auf sie und drückte ab.

    Blairo Maggi, der Gouverneur des Bundesstaats Mato Grosso, gilt bei Umweltschützern als der Landräuber schlechthin. Maggi ist "O Rei da Soja", der Sojakönig - und größter Einzelproduzent der Welt. 2005 erhielt er einen weniger schmeichelhaften Ehrentitel: Greenpeace verlieh ihm die "Goldene Kettensäge", weil Mato Grosso in den ersten drei Jahren seiner Regierung die massivste Regenwaldabholzung ganz Brasiliens aufzuweisen hatte.

    Maggi baut auf einer Gesamtfläche von etwa 400.000 Hektar auf drei riesigen und mehreren kleineren Farmen Soja, Mais und Baumwolle an. Darüber hinaus gewährt er etwa 900 mittelgroßen Erzeugern Kredite und kauft ihre Sojabohnen. Seine Firma, die Maggi Group, hat im Westen von Mato Grosso eine komplette Stadt errichtet: Sapezal. Sie dient der Versorgung einer einzigen Plantage. Statt zu warten, bis die Bundesregierung die BR-163 bis zum Amazonas bei Santarém asphaltiert, wo Soja zum Überseetransport umgeladen wird, errichtete die Maggi Group eine Infrastruktur mit Silos und Frachtschiffen, so dass Soja gelagert und den Rio Madeira hinab zum eigenen Tiefwasserhafen Itacoatiara verschifft werden kann.

    Mit Rotschopf und leichtem Bauchansatz hat sich der 50-jährige Maggi etwas Jungenhaftes bewahrt, das seinen Ruf als Waldzerstörer Lügen zu strafen scheint. Imageprobleme sind für ihn sowieso kein Thema - seine Macher-Attitüde hat ihn in Mato Grosso und auch landesweit so populär gemacht, dass er erwog, bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2006 zu kandidieren. Maggis Familie stammt aus Italien, seinen Grundbesitz und Geschäftssinn hat er vom Vater geerbt, der sich vom Saatgutverkäufer zum Agrarindustriellen emporgearbeitet hat. Dass Blairo den Erfolg seines Vaters André noch übertrifft, hängt mit Brasiliens Entwicklung zur globalen Agrarmacht zusammen. Das Land ist der weltweit größte Rindfleischexporteur und wird im Sojaexport nur von den USA übertroffen. "Brasilien ist der einzige Ort, an dem Soja noch in großem Rahmen expandieren kann", sagt der Biologe Oswaldo de Carvalho vom Amazonas-Umweltforschungsinstitut IPAM. In Pará und Mato Grosso werden künftig wohl noch mehr Bäume gefällt.

    Maggi hält die Abholzung für ein überbewertetes Thema, eine "Phobie", unter der Menschen leiden, denen die enormen Ausmaße des Amazonasgebiets nicht klar sind. "Ganz Europa würde in Amazonien Platz finden", sagt er.

    Was hält er von Dorothy Stangs Vision von Kleinbauern, die in Harmonie mit der Umwelt nachhaltig ihr Land bewirtschaften? "Völliger Unsinn", meint Maggi. Er erklärt, dass solche Vorhaben ohne umfangreiche Subventionen dem Lauf der Geschichte widersprechen und zum Scheitern verurteilt sind. "Geschäfte tendieren immer zur Konzentration. Die Stückpreise fallen, und dann braucht man zum Überleben eben riesige Mengen.

    "Maggi erscheint nicht allen Umweltschützern als der große Gegenspieler. "Immerhin hat er seinen Betrieb zum Erfolg geführt und bemüht sich darum, Mato Grosso als globale Wirtschaftsmacht zu positionieren", sagt Dan Nepstad vom Forschungszentrum Woods Hole in Massachusetts. Gemeinsam mit seinem brasilianischen Pendant IPAM führt das Zentrum Forschungen auf Maggis 81746 Hektar großer Tanguro-Farm im Quellgebiet des Rio Xingu durch. Bei einem der Experimente geht es darum herauszufinden, wie Mulch aus mikrobenreichem Regenwaldlaub den durch Monokultur und Viehwirtschaft ausgelaugten Boden regenerieren kann. Dank des Drängens von Nepstad und anderen unterstützt Maggi das Vorhaben, Soja nach international anerkannten Umweltmaßstäben anzubauen. Diese sind zwar noch festzulegen, doch Maggi hat seinen Produzenten schon Bedingungen gestellt: kein illegal gerodetes Land, keine Sklavenarbeit, kein Spritzen von Agrotoxinen näher als 500 Meter von Fließgewässern. "In den Bereichen Umwelt und Soziales sind wir sehr verantwortungsbewusst", sagt Maggi zu Beginn unserer Besichtigung der Tanguro- Farm. "Alles, was wir tun, geschieht im Rahmen der Gesetze." Er zeigt auf ein Gebäude, in dem Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel lagern. "Unsere Agrotoxine werden bis zum Einsatz fachgerecht belüftet."

    Auf einer schnurgeraden Betriebsstraße fahren wir am Rand eines kilometerlangen gelbgrünen Sojafelds entlang. Auf der einen Seite vermitteln endlose Reihen wadenhoher Büsche den Eindruck einer modernen, hoch technisierten Agrarwirtschaft. Ein zufälliger Beobachter würde die Pflanzen vielleicht bewundern, nicht ahnend, dass ihr glänzendes Grün einer giftigen Mischung zu verdanken ist. Sojabohnen benötigen große Mengen an säureneutralisierendem Kalk, dazu Dünger, Pestizide und Unkrautvernichtungsmittel. Alle außer Maggi äußerten mir gegenüber ihre Sorge wegen der ins Grundwasser gelangenden Giftstoffe. Indianer wie die Enawenê-Nawê in Mato Grosso beklagen sich über vergiftetes Wasser und sterbende Fische.

    Maggi ignoriert die negativen Folgen des Sojaanbaus. "Soja nützt der Umwelt sogar", sagt er. "Die Erde hier ist sehr mager. Und Soja führt dem Boden etwas zu, statt ihn auszulaugen. Danach kann man anbauen, was man will."

    Forscher bestätigen, dass die sachgerechte Handhabung von Sojafeldern die Ertragfähigkeit des Bodens steigern kann. Aber niemand weiß, wie lange die dünne, stark saure Erde im Amazonasgebiet auf diese Weise angereichert werden kann. Hören die positiven Effekte einmal auf, wird es zu einer Umweltkatastrophe mit furchtbaren wirtschaftlichen Folgen kommen.

    Auf der anderen Seite der Betriebsstraße stehen eindrucksvolle, 30 Meter hohe Bäume - das Herzstück eines alten Urwalds im Querschnitt. Diese wie mit dem Lineal aufgeschnittenen Waldansichten werden umso alltäglicher, je tiefer die Landwirtschaft in den Wald vorstößt. Oft ist dies illegal, aber nicht immer. Bauern steht zu, bis zu 20 Prozent ihres Landes zu roden, solange sie die restlichen 80 Prozent als sogenannte "gesetzliche Rücklage" erhalten. Falls der Bewuchs ihres Landes als "Übergangsvegetation" - also etwas zwischen Regenwald und Savanne - eingestuft wird, dürfen sie bis zu 50 Prozent roden. Doch die Gesetze taugen nur so viel wie der Wille zu ihrer Umsetzung. "Die Leute müssen begreifen, dass ein Gesetzesbruch Folgen hat", sagt Stephan Schwartzman von der amerikanischen Nichtregierungsorganisation

    Der Großteil der Sojaernte verlässt den Bundesstaat Mato Grosso noch immer mit Lkw-Kolonnen, die 1930 anstrengende Kilometer bis zu den Häfen in Südbrasilien zurücklegen müssen. Als die Regierung 2003 ankündigte, die letzten 1046 Kilometer der BR-163 von Guarantã do Norte nach Santarém zu asphaltieren, wurde plötzlich so viel Land gekauft, dass das Ausmaß der daraus resultierenden Zerstörungen die Behörden zur Aussetzung des Projekts zwang. Erst sollte ein Forstverwaltungsplan verabschiedet werden - im Februar 2006 wurde er bekannt gegeben. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verkündete den Schutz von fast sechseinhalb Millionen Hektar Regenwald. In den Schutzzonen erhalten umweltbewusste Firmen begrenzte Abholzungsrechte. Rodung und Besiedlung sind nicht erlaubt.

    Dieser neue Distrikt ist Teil eines wachsenden Mosaiks aus Parks und Schutzzonen, die im Verbund mit den indigenen Gebieten das Vordringen der Rodungen am Zentralamazonas verhindern sollen. Offenbar zahlen sich die Maßnahmen aus. 2005 gingen die Abholzungsraten um mehr als 30 Prozent zurück. Vorläufige Zahlen für 2006 zeigen ein ähnliches Bild.

    Doch es gilt, die Maßnahmen zum Schutz des Amazonasgebiets mit anderen Interessen im Land in Einklang zu bringen. Dazu gehören der geplante Bau von sieben Staudämmen an den ökologisch empfindlichen Flüssen Xingu und Madeira sowie Straßen, Stromleitungen, Öl- und Erdgas-Pipelines sowie Großprojekte in den Bereichen Bergbau und Industrie. Die Staudämme sollen Aluminiumhütten mit Strom versorgen - doch ihr Bau würde Millionen Hektar Wald über- fluten, Methan und andere Treibhausgase frei- setzen, die Artenvielfalt reduzieren und viele Ureinwohner von ihrem Land vertreiben.

    Die Indianer wissen, dass sich der Nutzen des Regenwalds nicht berechnen lässt. Der Wald erzeugt nicht nur die Hälfte seines eigenen Niederschlags, sondern auch einen großen Teil des Regens südlich des Amazonas und östlich der Anden. Er absorbiert CO2, mildert dadurch die Erderwärmung und reinigt die Atmosphäre. Er sorgt für den Erhalt eines einmaligen Reichtums an Lebensformen. Doch die Wirtschaft misst dem Wald keinen Wert zu: Noch immer ist es weitaus profitabler, den Wald abzuholzen, als ihn stehen zu lassen. "Ein klassisches Beispiel für das Versagen des Marktes", meint Schwartzman. Komischerweise würde Maggi ihm da zustimmen: "Wir müssen dringend Wege finden, um die Waldvölker und ihre Regierungen für die ökologischen Dienstleistungen zu entschädigen, die ihre Wälder liefern", sagt er.

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