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Wasserstoff Ökosystem

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    Sektorenkopplung komplett: Wie ein Wasserstoff-Ökosystem aussehen kann, erklärt Jürgen Wollschläger vom Projekt „Westküste 100“, einem der ersten deutschen Reallabore der Energiewende.

    Aus Offshore-Windenergie „grünen“ Wasserstoff produzieren, den für klimafreundliche Zwecke nutzen – und zwar im industriellen Maßstab und sogar zum saubereren Fliegen. Wie das klappen kann, weiß Jürgen Wollschläger, Geschäftsführer der Raffinerie Heide und Projektkoordinator bei „Westküste 100“, einem der ersten deutschen Reallabore der Energiewende

    Herr Wollschläger, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat Ihr Projekt zu einem der ersten Reallabore der Energiewende erkoren. Wie erklären Sie sich diese Ehre?

    Ein Grund ist sicher, dass wir nicht einfach eine 30-Megawatt-Elektrolyseanlage installieren, sondern dass wir um sie herum ein Wasserstoff-Ökosystem verschiedener Sektoren aufbauen. So wollen wir zeigen, dass alle drei Produkte der Elektrolyse – also Wasserstoff, Sauerstoff, Wärme – einen Nutzen für Klima und Wirtschaft stiften.

    Dieser Nutzen sieht wie aus?

    Was wir hier vor Ort aufbauen, ist eine Art Stromsenke, in der wir die Windenergie speichern, die heute nicht in die Stromnetze abgegeben werden kann – weil die Anlagen schon zuvor von den Netzbetreibern abgeschaltet wurden, da zu viel Strom im Netz war. Hier an der Westküste ist das jeden zweiten Tag der Fall, da entsteht ein riesiger volkswirtschaftlicher Schaden: 2018 summierte er sich auf eine halbe Milliarde Euro deutschlandweit. Das ist Geld, dass die Stromkunden überwiesen haben, ohne die bezahlte Leistung der Windmüller nutzen zu können.

    Wasserstoff als Stromspeicher ist so neu ja nicht…

    Nein, auch unsere Raffinerie nutzt den schon lange, aber konventionell aus Erdgas hergestellten Wasserstoff, den wir via Pipeline aus Brunsbüttel beziehen. Diese konventionelle Menge wollen wir in unserem Reallabor möglichst weitgehend durch „grünen“, mittels Windkraft erzeugten Wasserstoff ersetzen. Daran, an unserem Bedarf, orientiert sich die Größe der Elektrolyseanlage im ersten Schritt.

    Sie wollen Ihr Raffineriegeschäft ein Stück dekarbonisieren?

    Genau, und dabei flexibel bleiben: Wenn kein Wind weht, wollen wir weiter auf den Wasserstoff aus Brunsbüttel zugreifen. Diese Flexibilität brauchen wir zunächst auch, bis Speichermöglichkeiten für Wasserstoff aufgebaut sind. Im Reallabor werden wir dafür ein bis zwei Kavernen hier vor Ort zum Speichern von „grünen“ Wasserstoff ertüchtigen. Schon die Kapazität von einer reicht, um die Menge an Wasserstoff aus Windstrom mehrere Tage zu speichern. Somit hätte man schon einen Großteil des 2018 wegen der überlasteten Netze nicht produzierten Stroms nutzen können.
    Unser Projektpartner Open Grid Europe wird eine Pipeline von unserer Raffinerie ins Stadtgebiet Heide legen, um den Wasserstoff ins dortige Erdgasnetz einzuspeisen, womit die Stadtwerke Heide dann ihre Möglichkeiten der Dekarbonisierung einzelner Quartiere erprobt, in einem schon unter dem Namen QUARREE100 laufenden Förderprojekt übrigens. Entlang der Pipeline ist es geplant am Autobahnzubringer einen Autohof mit Wasserstofftankstelle zu bauen, so dass der Energieträger dann für mobile Zwecke genutzt werden kann. Und die im Zuge der Elektrolyse entstehende Wärme werden wir ins bestehende Netz einspeisen.

    Was passiert mit dem Sauerstoff aus der Elektrolyse?

    Den wollen wir zu einem Zementwerk nahe Itzehoe befördern, wo ihn der Baustoffproduzent Holcim in der Produktion einsetzen wird. Während der Elektrolyse entsteht ja reiner Sauerstoff, mit dem das Zementwerk viel effizienter befeuert werden kann als mit Luft. Künftige Anlagen könnten so effizienter werden. Weiterer Vorteil: Am Ende der Zementherstellung steht reines CO2, das wir abscheiden und in unserer Raffinerie aufwerten können.

    Was soll daraus werden?

    Das CO2 wollen wir bei uns mit Wasserstoff kombinieren, um daraus verschiedene Kohlenwasserstoffverbindungen zu synthetisieren, Methanol beispielsweise oder synthetische Kraftstoffe. Die können überall da als Kraftstoff genutzt werden, wo Batterien zu schwer wären, zu voluminös, etwa in Flugzeugen, in Schwertransportern oder in der Hochseeschifffahrt.

    Wie steht es um die Profitabilität Ihres Reallabors?

    Wie hoch die Wertschöpfung aus dem Projekt einmal sein wird, können wir noch nicht quantifizieren. Aber unsere 30-Megawatt-Elektrolyseanlage ist schon die größte uns in Deutschland bekannte. Und mit der können wir zeigen, was funktioniert, was nicht, gerade auch mit Blick auf die Regularien. Wenn wir dereinst profitabel wirtschaften sollen, braucht es da sicherlich Anpassungen.

    Was schwebt Ihnen vor?

    Es wäre schon gut, wen wir mit unserem Wasserstoff zu den CO2-Flottenzielen der Autohersteller beitragen könnten. Bislang dürfen die unseren Energieträger nicht anrechnen. Das ist ein Grund dafür, dass die Automobilindustrie fast ausschließlich auf E-Mobilität setzt. Synthetische Kraftstoffe werden so marginalisiert.

    Was meinen Sie?

    Um ein Zementwerk wie in Itzehoe komplett zu dekarbonisieren – das ist ja unsere Vision –, bräuchten wir eine 700-Megawatt-Elektrolyseanlage. Den zum Betrieb nötigen Windstrom gäbe es. Aber viele Projekte liegen auf Eis, weil der Strom auf ein überlastetes Netz treffen würde und nicht eingespeist werden könnte.

    Und der mögliche Klima-Effekt?

    Mit einer 700-Megawatt-Anlage könnten wir rund eine Millionen Tonnen CO2 im Jahr vermeiden oder umgerechnet rund 150.000 Tonnen Kerosin produzieren, das wäre ein recht hoher Anteil des Verbrauchs am Hamburger Flughafen. Unsere Raffinerie wäre damit gut für die Zukunft aufgestellt. Wenn wir das Pariser Klimaschutzabkommen ernst nehmen, und das tun wir, wird sich unsere Geschäftsgrundlage in den nächsten Jahrzehnten enorm verändern. Das Reallabor ist ein Schritt, ein aktiver Teil dieser Veränderung zu werden und auch zu klären, welchen Rahmen das braucht.

  • #2

    Interessante Perspektive,
    Was mich besonders fasziniert, ist die potenzielle Rolle von Wasserstoff in der Dekarbonisierung schwerer Industrien, wie der Luftfahrt und Schifffahrt, wo Batterietechnologien aufgrund von Gewicht und Volumen weniger praktikabel sind. Während die Automobilindustrie sich stark auf Elektromobilität konzentriert, könnte Ihr Ansatz zeigen, dass Wasserstoff eine tragfähige, umweltfreundlichere Alternative für Sektoren ist, die bisher schwer zu dekarbonisieren waren.

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